Humboldt-Universität zu Berlin - Forschung und Projekte

7. Mai 2003 Verbranntes Denken - Ideelle Restitution. Relevanz aktiver Erinnerungsarbeit für die universitäre Praxis.

nszeit1.jpgReferenten: Stiftungsinitiative 10. Mai

 

Bücherverbrennungen in einer historischen Dimension - am Beispiel des Wirkens und der Wirkung des Berliner Aufklärers Saul Ascher:

Der aktionistische Antisemitismus mit seinen Vorläufern gehörte in unterschiedlicher Stärke schon im 19. Jahrhundert zum geistigen Inventar der Burschen- und späteren Studentenschaften.

Saul Ascher - als vielseitiger Schriftsteller und aggressiver Publizist zwischen Haskala und beginnender bürgerlicher und Judenemanzipation stehend - hatte den Streit mit völkischen Exponenten seiner Zeit - unter anderem mit Jahn - gesucht. Durch diese Auseinandersetzung wurde er zum einem Symbol und die Verbrennung seiner Werke während des Wartburgfestes 1817 war exemplarisch gemeint.

Ebenso wie Heinrich Heine, (der sich ansonsten satirisch an Ascher gerieben hatte) prophezeite Ascher in der späteren Auswertung dieser Ereignisse von 1817, dass symbolische und wirkliche Autodafés von Juden "als Reiser der Verbreitung der Flamme des Fanatismus" dienen könnten.

Ascher blieb dann weiterhin in verschiedenen Etappen der Entfaltung des Antisemitismus und der verschiedenen Spielarten konservativen und reaktionären Denkens Haßobjekt. Schließlich erfüllte er diese Funktion auch in der NS-Propaganda und -Wissenschaft in ihrem Bestreben, historische Bezüge für ihre antisemitischen und antiintellektuellen Maßnahmen und Planungen herzuleiten. Er wurde zum historischen Prototyp eines angeblich Antisemitismus provozierenden Intellektuellen aufgebaut.

In dem Bestreben, nicht nur Strukturen, Institutionen und Gehirne, sondern auch die Geschichte zu säubern, sollten weite Teile intellektueller Traditionen Mitteleuropas stigmatisiert, ausgesondert und ausgemerzt werden. Dabei wurden Aschers Auseinandersetzungen mit den Deutschtümlern zur Konstruktion des "Deutschen" genutzt.

Die Argumente, die gegen Ascher und viele andere konstruiert wurden, sollten den Bruch mit Weltoffenheit, geistiger Selbständigkeit durch Skeptizismus und die Fähigkeit zum kritischen Denken und offenem Diskurs im Sinne der humanistischen Aufklärung zementieren.

Ausgehend von Ergebnissen der Arbeit am Magisterthema soll die Vorlesung Lebenswelt und -werk und -wirkung darstellen und eine historische Linie nachzeichnen. An dem Beispiel der Auseinandersetzung um Ascher werden Etappen und Frontlinien einer Entwicklung erkennbar, die zur Bücherverbrennungskampagne von 1933 führten. Die Langlebigkeit von Zuschreibungsbildern und deren Wandel innerhalb antiintellektuellen Machtkämpfen lassen sich bis in die heutige Zeit verfolgen.