Forschung
- Angewandte Geisteswissenschaften – Genealogie und Politik, Anke te Heesen
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Der Marshmallow-Test. Süßigkeiten, race und Bildung in der Kognitionsforschung 1950–heute, Susanne Schmidt
- Mode. Ein Schlagwort der Gesellschaftsdiagnostik 1850–heute, Susanne Schmidt
- Socialist Medicine: An Alternative Global Health History, Dora Vargha
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Die Wissenschafts- und Technikkultur des geteilten Berlin im Spiegel der Museen, Arne Schirrmacher
- Richten, Heilen, Strafen: psychiatrische Politik und forensische Kultur in Berlin, 1880-1914, Eric Engstrom
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Clio rechnet: Eine Wissenschafts- und Mediengeschichte der quantitativen Geschichte, Antonia von Schöning
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Die Bewegung der Blockfreien Staaten und die Dekolonialisierung des Museumsfeldes: Antikoloniale Museen in Jugoslawien (1961–1989), Nataša Jagdhuhn
- Die Entwicklung der Sozialwissenschaften im deutschen Hochschulwesen, Sachiko Iijima
- Die Verwendung des Bildes in den Werken von drei Gelehrten der späten Aufklärung, Léna Pican
Forschung Doktoranden
- Visuelle Bürokratien – Eine Wissensgeschichte des Kunsthandels um 1900, Julia Bärnighausen
- Schauraum Hygieneausstellung – Dresden 1911 in wissensgeschichtlicher Perspektive, Christine Brecht
- Botanics in the Making (1500–1700): Communication and Construction of the Botanical Science in Early Modern Europe, Julia Heideklang
- Werbung für den Westen. Die Ausstellungen der US Exhibition Section in Deutschland, 1945-1960, Jonas Kühne
- Insekten als globale Ware: Taiwan als Sammelort im frühen 20. Jahrhundert, Kerstin Pannhorst
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Sammelnd Geschichte schreiben. Die Autographensammlung Darmstaedter und ihre Bedeutung als historiographische Materialsammlung, Julia Steinmetz
- Friedenssicherung durch Pädagogik? Geschichte, Wissensproduktion und Akteur:innen der Friedenserziehung in der BRD, ca. 1950–1990, Carla Seemann
- Ignorance in the Age of Text: Forbidden Knowledge among Common Readers in 18th and 19th Century Britain, Jakob Kaaby Hellstenius
- "It's all in the Head" - eine vergleichende historisch-epistemologische Geschichte der Neurowissenschaften im Jahrzehnt des Gehirns (1990-2000), Wessel de Cock
- Contestation of Knowledge in the Collection and Exhibition of Indigenous Objects by Catholic Mission Museums, Dwirahmi Suryandari
- Der Ausstellungskatalog Künstlerinnen international 1877–1977 als Archiv und Katalysator transnationaler Feminismen. Eine globale Objektgeschichte, Marie van Bömmel
Angewandte Geisteswissenschaften - Genealogie und Politik
Im Kolleg wird Anke te Heesen die Geschichte der interviewgestützten Lebenslaufforschung verfolgen, die als historisches Konzept in der frühen Soziologie eine erste Konjunktur erfuhr und heute erneut politische Wirksamkeit entfaltet. Weiterführende Informationen sind auf der Homepage der Kollegforschungsgruppe zu finden: Angewandte Geisteswissenschaften.
Der Marshmallow Test. Süßigkeiten, race und Bildung in der Kognitionsforschung 1950–heute, Susanne Schmidt
Das Projekt historisiert das Konzept der Selbstkontrolle als einer grundlegenden Fähigkeit, die, im frühen Kindesalter erworben, zahlreiche Aspekte des späteren Lebens beeinflusst. Untersucht wird die Geschichte des Marshmallow-Tests, der zentralen Anordnung zur Messung von Selbstkontrolle, die Kinder vor die Wahl stellt: ein Marshmallow (oder eine andere Süßigkeit) sofort – oder zwei, wenn sie warten. Das Projekt widmet sich der Geschichte des Marshmallow-Tests von den ersten Experimenten in den 1950er Jahren bis zu gegenwärtigen Debatten über Reproduzierbarkeit und untersucht Forschung, die insbesondere in den USA, der Karibik und Lateinamerika durchgeführt wurde.
Abbildung: "The Marshmallow Test", The Globe and Mail (Youtube-Kanal), April 2011.
Mode. Ein Schlagwort der Gesellschaftsdiagnostik 1850–heute, Susanne Schmidt
Der Begriff der Mode bezieht sich nicht nur auf die zeitgemäße Art und Weise sich zu kleiden, sondern bezeichnet und bewertet auch die Verbreitung und den Wandel sozialer und ethischer Normen, kultureller Gewohnheiten und Verhaltensweisen, gar der politischen Einstellung und der wissenschaftlichen Theorie. Das Forschungsprojekt widmet sich der Mode als Schlagwort der modernen Gesellschaftsdiagnostik, seiner Entstehung, seinen Vorläufern und seiner Ausprägung und Verwendung in ethischen und rechtswissenschaftlichen, volkskundlichen, ökonomischen, demoskopischen und publizistischen Zusammenhängen. Beleuchtet wird die Geschichte und Funktion dieses doppelten, weiten Modebegriffs, der zugleich auf eine materielle und eine konzeptuelle Ebene verweist. Mode erscheint so als ethisches, ökonomisches, politisches und epistemologisches Konzept.
Abbildung: Schnittmuster-Sammlung (C) Dahin/Shutterstock.com.
Socialist Medicine: An Alternative Global Health History, Dora Vargha
Global health histories are framed mainly through American, colonial and liberal perspectives, even as some contributions of the socialist world, e.g. in smallpox eradication, have been acknowledged. The omission of socialist contexts, however,
distorts our understanding of what global health is. Many parts of the socialist world, like China or Czechoslovakia, provided different approaches to international and global health, e.g. in rural health or epidemic management. Although there was not one socialist template, diverse framings of socialist medicine played major roles in shaping and contesting global practices.
A systematic analysis of socialist medicine and international health through global case studies integrates missing expert networks, political agendas, public health models and diplomatic agreements in global health history. This work, in turn, allows us to rethink concepts such as socialism, medical aid, solidarity, development, socialist medical research and health
provision.
Abbildung: Budapest, 16. July 1958. To Shung Man North Korean paediatrician with Mária Hubai Hungarian nurse and a young patient at the I. Pediatric Clinic in Budapest. MTI Photo: Mária Lónyai. Under extended license agreement.
Die Wissenschafts- und Technikkultur des geteilten Berlin im Spiegel der Museen, Arne Schirrmacher
Nicht nur Literatur, Theater, Film, Kunst und Musik prägten das Selbstverständnis und die Identität von Menschen in modernen Gesellschaften, sondern auch Wissenschaft und Technik, welche diese zunehmend bestimmten. Eine umfassende Kulturgeschichte sollte daher die Wissenschafts- und Technikkultur mitumfassen. Um diese in ihren gesellschaftlichen und politischen Bedingtheiten genauer zu verstehen, erscheint Berlin und seine Nachkriegsentwicklung prädestiniert. Prallen an diesem Ort nach 1945 doch zwei Systeme aufeinander und stehen in einer geteilten aber doch zwischen ihren Teilen immer aufs Engste aufeinander bezogenen Stadt in verschiedenen Konstellationen der Durchlässigkeit und Abschottung in einem kulturellen Wettbewerb. Dieser wurde im Atom- und Weltraumzeitalter und zu Zeiten von Sputnik und "wissenschaftlich-technischer Revolution" insbesondere in der Arena von Wissenschaft und Technik ausgetragen. Ebenso wie es ein spezifisches Berliner Musikleben, eine Kunst-, Kino- und Literaturszene sowie eine Theaterlandschaft gab, so gab es eine Wissenschafts- und Technikkultur in Form von Museen und Ausstellungen. Ihr Platz ist in der Kulturgeschichte Berlins bislang offengeblieben. Das Projekt soll dieses Desiderat für die Nachkriegszeit füllen und die Institutionen des Austausches und der Wissenszirkulation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft betrachten - insbesondere Museen, Ausstellungen und andere Formen der öffentlichen Präsentation von Wissenschaft und Technik wie Sternwarten und Science Center.
Richten, Heilen, Strafen: psychiatrische Politik und forensische Kultur in Berlin, 1880-1914, Eric J. Engstrom
Das Projekt untersucht das vielfältige Gefüge forensisch-psychiatrischer Instanzen in der preußischen Hauptstadt vor dem Ersten Weltkrieg. Im Mittelpunkt der Analyse stehen drei Kulturräume, in denen mit psychisch-auffällig gewordenen Menschen umgegangen wurde: der Gerichtssaal, das Krankenhaus und das Gefängnis. Das Projekt nimmt die überlappenden Zuständigkeiten, Kompetenzen und handlungssteuernde Prioritäten in und an den Schwellen dieser forensischen Kulturräume in den Blick. Dabei werden juristische Bestimmungen, administrative Praktiken, Fach- und Laiendiskurse, sowie forensisch-psychiatrische Subjekte untersucht. Insbesondere werden die politischen Auseinandersetzungen an den Nahtstellen dieses städtischen Ensembles forensisch-psychiatrischer Instanzen untersucht. Die forensische Politik wird als eine konflikt- und akteurszentrierte Dynamik verstanden, bei der es um die Mobilisierung rhetorischer Mittel, die rituelle Inszenierung symbolischer Handlungen, das Evozieren von Emotionen und Empathien, sowie um die Organisation kollektiver Loyalitäten geht. Diese Strategien forensischer Politik gilt es im Bezug auf die immer wieder vom neuen sich aufdrängenden Probleme im Umgang mit psychisch erkrankten Straftätern in Berlin zu untersuchen. Der Einfluss der Berliner Öffentlichkeit und die Rolle von Fürsorgeeinrichtungen für entlassene Patienten und Gefangene werden analysiert. Das Projekt zielt auf eine feinere Kartierung der Grenzen zwischen den forensischen Kulturräumen und untersucht sie unter Berücksichtigung des urbanen Umfeldes.
Picture Credit: SK Bern: Paul Klee, Catalogue Raisonné, vol. 2. Bern 2000. Abb. 1454.
Clio rechnet: Eine Wissenschafts- und Mediengeschichte der quantitativen Geschichte, Antonia von Schöning
Das Forschungsprojekt untersucht die quantitative, computergestützte Geschichtsschreibung in Frankreich, den USA und Westdeutschland von den 1950er bis 1980er Jahren. Einem wissenschaftsethnographischen Ansatz folgend, interessieren insbesondere die medientechnischen Bedingungen und konkreten Praktiken des quantitativen historiographischen Arbeitens und die Frage, wie die computergestützten Verfahren die Erkenntnisprozesse und die „Werkstatt“ der Historiker*innen geprägt haben: Wie entwickelte sich die Historische Fachinformatik? Inwiefern förderte der Einzug von Big Data in die Geschichtswissenschaft die Entwicklung neuer Forschungsfragen und veränderte Methoden wie die Quellenkritik? Wie wurde die Entwicklung künstlicher Intelligenz und die vermeintliche Ersetzung des menschlichen Historiker*innensubjekts durch die Maschine diskutiert? Ein Ziel des Forschungsprojekts ist es, die Rekonstruktion der historischen Debatte über die Einführung des Computers für die kritische Auseinandersetzung mit den Ansprüchen und Versprechen der Digital History fruchtbar zu machen.
Abb.: Edward Shorter, The Historian and the Computer. A Practical Guide, Englewood Cliffs: Prentice-Hall 1971, S. 32.
Die Bewegung der Blockfreien Staaten und die Dekolonialisierung des Museumsfeldes: Antikoloniale Museen in Jugoslawien (1961–1989), Nataša Jagdhuhn
Das neu erwachteakademische Interesse am Erbe der Bewegung der Blockfreien Staaten geht einher mit einer Wiederbelebung der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussionen über die Dekolonialisierung desMuseumsfeldes. Dieses Projekt vereint beide Themenbereiche und zeigt auf, inwiefern die Kulturdiplomatie der Blockfreien während des Kalten Krieges die Dekolonialisierung von Museumstheorie und -praxis beförderte, wobei der Schwerpunkt auf Jugoslawiens dekolonialem Engag ement auf dem Gebiet der Museumsvermittlung liegt. Verdeutlicht werden soll dies anhand der Reden von Staatsoberhäuptern auf den Gipfeltreffen der Blockfreien Staaten, anhand des Wirkens der Museologinnen und Museologen in der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) und dem Internationalen Museumsrat (ICOM) sowie anhand der kuratorischen Strategien bei der Gründung des Museums für Afrikanische Kunst in Belgrad, und der Kunstgalerie der Blockfreien-Bewegung in Titograd. Das Projekt vereint drei Themenbereiche von aktueller Relevanz: 1) die gegenwärtig in Europa geführten Debatten über Restitutions- undRepatriierungspraktiken, 2) die weltweite Entwicklung von dekolonialen Strategien des Kuratierens und 3) die Neubewertung des kulturellen Erbes der Blockfreien.
Abbildung: Fishing Boat from Ghana - "Nyimpa kor ndzidzi", credit: Museum of African Art, Belgrade
Die Entwicklung der Sozialwissenschaften im deutschen Hochschulwesen, Sachiko Iijima
Bei Sachiko Iijimas Forschung stehen Recherchen im Vordergrund, die sich auf die Entwicklung der Sozialwissenschaften im deutschen Hochschulwesen in den letzten Jahren beziehen. Hinzu kommen notwendige Analysen und zusätzliche Interviews, die mit ehemaligen Ansprechpartnern stattgefunden haben. An zwei weiteren Universitäten (MLU Halle, Universität Leipzig) hat sie zusätzliche Interviews vorgesehen.
Die Ergebnisse von Iijimas Forschungsvorhaben werden zu einem späteren Zeitpunkt in der japanischen soziologischen Fachliteratur publiziert.
Die Verwendung des Bildes in den Werken von drei Gelehrten der späten Aufklärung, Léna Pican
Léna Picans Dissertation befasst sich mit der Verwendung des Bildes in den Werken von drei Gelehrten der späten Aufklärung: Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), insbesondere in seinen Forschungen zur Botanik und vergleichenden Anatomie; dem Philanthropen und Pädagogen Johann Bernhard Basedow (1724-1790), einem Verfechter einer sinnlichen Erziehung; und dem Schweizer Pfarrer Johann Kaspar Lavater (1741-1801), dem Begründer der Physiognomik, also des Studiums der moralischen Eigenschaften von Individuen anhand ihrer körperlichen Merkmale. Außerdem wird das Bild nicht nur als zentrales Element in den Arbeiten dieser drei Persönlichkeiten betrachtet, sondern auch als Werkzeug, um die zugrunde liegenden Formen der Geselligkeit zu erfassen. Daher beschränkt sich die Analyse nicht auf die veröffentlichten Werke, sondern erstreckt sich auch, über die Korrespondenz hinweg, auf die Netzwerke von Zeichnern, die teilweise gleichzeitig mit diesen Persönlichkeiten zusammenarbeiteten, wie Daniel Chodowiecki (1726-1801) oder Johann Rudolf Schellenberg (1740-1806).
Visuelle Bürokratien – Eine Wissensgeschichte des Kunsthandels um 1900 (Arbeitstitel), Julia Bärnighausen
Julia Bärnighausen
Das Dissertationsprojekt untersucht die Fotografien der Galleria Sangiorgi in Rom in der Photothek des Kunsthistorischen Instituts in Florenz – Max-Planck-Institut mit einem Schwerpunkt auf der Sektion "Kunstgewerbe". Aufgrund ihrer bemerkenswert komplexen Materialität und visuellen Aussagekraft eröffnen diese Fotografien ein transtemporales Netzwerk verschiedener Akteure, zu denen auch sie selbst als historisch geformte und mobile "Foto-Objekte" zählen.
Die Galleria Sangiorgi wurde 1892 von dem italienischen Unternehmer Giuseppe Sangiorgi (1850–1928) im Palazzo Bor-ghese in Rom gegründet und avancierte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem der weltweit größten und erfolg-reichsten Verkaufs- und Auktionshäuser. Heute ist sie unter Historikern und Kunsthistorikern jedoch nahezu in Vergessenheit geraten. Wie viele seiner Zeitgenossen führte auch Sangiorgi eine Werkstatt, in der die Antiquitäten aus seiner Sammlung zum Weiterverkauf reproduziert wurden. Als Ansichtsexemplare, Kommunikationsmittel und "Vorbilder" zirkulierten die Fotografien zwischen Sammlern, Kunsthändlern, Künstlern und Fotografen innerhalb und außerhalb der Galerie und ihren Vertretungen in New York, Paris und London. Auf teilweise noch unbekannten Wegen gelangten sie mit der Zeit in verschiedene Archive. So besitzen auch die Fondazione Zeri in Bologna und das Archivio Centrale dello Stato in Rom zahlreiche Fotografien und Zeichnungen der Galleria Sangiorgi, die im Rahmen des Projektes ebenfalls untersucht werden sollen. Das Florentiner Foto-Archiv bildet eine weitere von vielen (Wissens-) Schichten in der Sedimentation dieser Dokumente, die hier im Kontext einer kunsthistorischen Abbildungssammlung neue Bedeutungszuschreibungen erfahren haben.
Die Arbeit wird unter anderem die Familien- und Unternehmensgeschichte rekonstruieren sowie Praktiken des Kunsthandels um 1900 in den Blick nehmen. Dazu werden Archive in Italien, Frankreich, den USA, England und Deutschland konsultiert sowie eine Reihe von Interviews geführt. Vor allem aber soll anhand dieser Fallstudie gezeigt werden, wie viel epistemologisches Potenzial Fotografien besitzen, wenn sie nicht nur als Bilder verstanden, sondern auch als materielle und "dreidimensionale" Objekte mit einer eigenen Biografie ernst genommen werden.
Abbildung: Spiegel (1. H. 18. Jh.), Albuminpapier montiert, nicht identifizierter Fotograf (Galleria Sangiorgi, Rom), um 1900, 26 x 13,7 cm (Karton), Inv. Nr. 615786, Abt. „Kunstgewerbe“ der Photothek, Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut.
Schauraum Hygieneausstellung – Dresden 1911 in wissensgeschichtlicher Perspektive, Christine Brecht
Obwohl ihre Anfänge in den 1870er Jahren liegen, wurden Hygieneausstellun-gen bislang vor allem im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Gesundheitsaufklärung des frühen 20. Jahrhunderts verortet. Dass es sich bei diesen Präsentationen von Instrumenten und Objekten moderner Naturwissen-schaft, Medizin und Technik nicht nur um Publikumsschauen, sondern auch um Fachausstellungen handelte, kam dabei kaum in den Blick. Am Beispiel der internationalen Hygieneausstellung, die 1911 in Dresden stattfand, unternimmt das Promotionsvorhaben den Versuch, historische Bedingtheiten und Bedeutungen beider Ausstellungsprinzipien auszuloten. Im Mittelpunkt stehen Fragen nach den Akteuren und Praktiken des Ausstellens: Wie war das Zeigen und Sehen in den verschiedenen Abteilungen, aus denen sich die Welthygieneschau von 1911 zusammensetzte, organisiert? Welche alten und neuen, kommerziellen oder musealen Präsentationsformen kamen zum Tragen? Aus welchen disziplinären, institutionellen, nationalen und kolonialen Zusammenhängen stammten die ausgestellten Wissenschafts-objekte? In welcher Weise waren Wissenschaftler, etwa Bakteriologen, Nahrungsmittelche-miker oder Gewerbehygieniker, beteiligt, sei es als Aussteller, Kuratoren, Berichterstatter oder Besucher? Neben schriftlichen Überlieferungen werden Fotografien, Pläne, Skizzen und andere Bildmaterialien herangezogen, um Dresden 1911 neu zu vermessen und in die Geschichte expositorischer Wissenspräsentation einzuschreiben.
Abbildung: Laborinszenierung in Halle 56 „Nahrungs- und Genussmittel“ der Internationalen Hygieneausstellung Dresden 1911. Deutsches Hygiene-Museum Dresden, Sammlung, DHMD 2001/196.60. Nutzung mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Hygiene-Museums Dresden.
Botanics in the Making (1500–1700): Communication and Construction of the Botanical Science in Early Modern Europe, Julia Heideklang
Das Dissertationsthema verbindet die Erforschung kleiner Formen mit der Betrachtung botanischer Wissenschafts-texte der Frühen Neuzeit (1500–1700). Zwischen diesen literarischen Produkten und der Selbstpositionierung des jeweiligen Autors innerhalb der literarischen Tradition aber auch der zeitgenössischen Wissenschaftsgemeinschaft besteht eine starke Wechselwirkung. Die Wissenschafts-texte, hier mit dem Fokus auf ihren verschiedenen Para-texten, sind in ihren Inhalten und ihrer Form stark durch den zeitgenössischen Diskurs bedingt. Zugleich aber gestalten sie ihrerseits den Diskurs mit. Es ist davon auszugehen, dass dabei den Paratexten eine heraus-ragende Bedeutung zukommt, nämlich, dass sie als epi-stemologische Katalysatoren den Emanzipationsprozess der botanischen Wissenschaft in der frühen Neuzeit beeinflusst und gesteuert haben. Für das Forschungs-projekt sollen exemplarisch ausgewählte botanische Wer-ke, insbesondere die Historiae und Kreutterbücher, hinsichtlich ihrer Paratexte untersucht und im historischen Kontext verortet werden. Der Fokus liegt dabei vor allem auf den Titelseiten, Vorreden bzw. Widmungsreden und Widmungsgedichten in ihrem jeweiligen Werkkontext und unter Einbeziehung von nachfolgenden Auflagen und Übersetzungen. Ziel ist es aufzuzeigen, durch welche Kommunikationsstrategien und gestalterischen Elemente der jeweilige Autor Einfluss auf die Rezeption seiner botanischen Schrift durch den intendierten Leser nimmt. Darüber hinaus wird danach gefragt, wie dadurch das Selbstverständnis botanischer Wissenschaft konstruiert und einer Leserschaft innerhalb und außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft zugänglich gemacht wird.
Abbildung: Titelseite aus Andrea Cesalpino, De plantis libri XVI, Florentiae: Apud Georgium Marescottum 1583. (Digitalisat der Zentralbibliothek Zürich: NB 721; http://dx.doi.org/10.3931/e-rara-37940).
Werbung für den Westen. Die Ausstellungen der US Exhibition Section in Deutschland, 1945-1960, Jonas Kühne
Das Promotionsvorhaben untersucht das amerikanische Ausstellungsprogramm in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Zentrum stehen die Ausstellungen der US Exhibition Section zwischen 1945 und 1960, die trotz ihrer Verschiedenartigkeit einem gemeinsamen Zweck dienten. Sie sollten das deutschen Publikums im Sinne einer Orientierung hin zu einer Konsumgesellschaft aktivieren und machten gleichzeitig vor dem Hintergrund des frühen Kalten Krieges Werbung für eine Einbindung der Bundesrepublik in die westliche, transatlantische Wertegemeinschaft.
Die Studie verfolgt drei Schwerpunk-te. Erstens gerät mit der US Exhibition Section eine transnationale Organisation in den Blick, die zunächst weder einen musealen Sammlungs- und Präsentationsauftrag hatte, noch in der darstellenden oder bildenden Kunst verortet werden kann. Dieser Teil untersucht die in ihr wirkenden transatlantischen Akteurs-netzwerke sowie die Produktions-bedingungen, unter denen die Aus-stellungen geplant und hergestellt wurden.
Daran anschließend werden zweitens sechs exemplarische Ausstellungsensembles auf gestalterischer, inhalt-licher und rezeptiver Ebene untersucht: das Wanderausstellungsprogramm in den Amerika-häusern (1947-49), die Marshallplan-Ausstellungen (1950-52), die Ausstellungen „ATOM“ (1954), „Kleider machen Leute“ (1955) und „Unbegrenzter Raum“ (1956) in Berlin sowie der Messestand zur US-Landwirtschaft auf der IKOFA in München (1958).
Die expositorischen Analysen sollen drittens folgende Fragen beantworten: Wie wurden die Ausstellungen von den politischen Rahmenbedingungen des Kalten Krieges geprägt und vor dieser Folie von der west- und ostdeutschen Öffentlichkeit wahrgenommen? Welche aus-stellungshistorischen Einflüsse von vor 1945 spiegeln sich in den zu untersuchenden Expo-sitionen wider? Wie wurden diese adaptiert und weiterentwickelt? Wie prägten die Aus-stellungen die weitere Entwicklung von expositorischen Arbeiten in der Bundesrepublik?
Abbildung: Mitarbeiter*innen der US Exhibition Section mit Modellen zu einer Ausstellung über Landwirtschaft, ca. 1947/48, Nürnberg. Nachlass Claus-Peter Groß, Fotografische Sammlung Kunstbibliothek, SMB.
Insekten als globale Ware: Taiwan als Sammelort im frühen 20. Jahrhundert, Kerstin Pannhorst
Das Dissertationsprojekt nimmt Praktiken des Sammeln, Weiterverarbeitens und Verkaufens von Insekten in Taiwan im frühen 20. Jahrhundert in den Fokus, insbesondere die Verschränkungen zwischen entomologischer Forschung und Kunstgewerbe. In den als „Feld“ konzipierten Bergen Zentraltaiwans konkurrierten unterschiedliche Akteure um die Ressource Insekten: Sie sammelten für taxonomische und biogeographische Beschreibungen, für Forschung zu ökonomisch relevanten Insektenarten, oder aber für den Kunstgewerbemarkt. Die Arbeit untersucht, inwiefern sich wissenschaftliche und (kunst)handwerkliche Praktiken gegenseitig stabilisierten und zu einer Massenproduktion von Insektenobjekten und Insektenwissen führten.
Im frühen 20. Jahrhundert strebte Hans Sauter, ein deutscher Entomologe und Sammelunternehmer in Taiwan, gemeinsam mit dem ersten Direktor des Deutschen Entomologischen Museums in Dahlem eine „Massenfabrikation“ von Insektenwissen an. Zehntausende sorgsam verpackte Insekten wurden auf globalen Handelsrouten von der japanischen Kolonie Taiwan nach Europa verschifft mit dem Ziel der sukzessiven Publikation einer „vollständigen Fauna Formosas“. Im selben Zeitraum sandte Yasushi Nawa, ein japanischer Entomologe und Unternehmer, dutzende Insektensammler auf die Insel. Die Tiere dienten zum einen der Forschung zu landwirtschaftlichen Schädlingen und Nutztieren, zum anderen der Herstellung kunstgewerblicher Gegenstände, wie Papierfächer oder Postkarten, die mithilfe echter Schmetterlingsflügel verziert wurden. Diese verkaufte Nawa über Anzeigen in entomologischen Publikationen oder in Warenhäusern in Japan, Nordamerika und Europa. Floh, Käfer oder Schmetterling dienten als Rohstoff, der geborgen, gehandelt und zu Artefakten weiterverarbeitet wurde – zum „authentischen“ Stellvertreter der Natur zum Zwecke der Forschung oder zur ästhetischen Ware. Das Projekt folgt den Insekten aus dem Feld ins Naturkundemuseum oder aber ins Warenhaus und blickt auf die Verschränkung der jeweiligen hochspezialisierten Praktiken und auf die Ökonomien hinter der globalen Zirkulation dieser fragilen Materialien.
Abbildung: Verpackungsmaterial für Lepidoptera, von Hans Sauter Anfang des 20. Jahrhunderts aus Taiwan gesandt. Museum für Naturkunde Berlin, Sammlung Lepidoptera und Trichoptera. Foto: Kerstin Pannhorst.
Sammelnd Geschichte schreiben.
Die Autographensammlung Darmstaedter und ihre Bedeutung als historiographische Materialsammlung, Julia Steinmetz
Das Dissertationsprojekt nimmt mit der Ludwig Darmstaedter‘schen Autographen-sammlung der Wissenschaft und Technik eine der umfangreichsten wissenschafts-historischen Materialsammlungen in den Blick. Als breit angelegtes Sammelprojekt um 1900 entstanden, speichert sie den innovativen Vorstoß, anhand der kleinen Form des Autographen die Erforschung der Wissenschafts- und Technikgeschichte voranzutreiben. Wie diese Arbeit zeigen möchte, übten Sammelpraxis und Medieninnovation, zeitgenössi-sche Diskurse um Bedeutung und Materialität historischer Dokumente nicht nur prägenden Einfluss auf diese Sammlung aus, sondern bestimmten ebenso den aus der Autographen-sammlung resultierenden Geschichtsentwurf. Das historiographische Konzept gründet somit auf einer Interdependenz von Medien und Geschichte, die anhand des reichhaltigen Sammlungsbestandes exemplarisch untersucht wird. Das Projekt leistet so einen Beitrag zur Geschichte der Wissenschafts- und Technikgeschichte, indem es die Materialien fo-kussiert, die deren Entstehung um 1900 ermöglichten.
Friedenssicherung durch Pädagogik? Geschichte, Wissensproduktion und Akteur:innen der Friedenserziehung in der BRD, ca. 1950–1990, Carla Seemann
Als im April 1968 die Münchener Studiengesellschaft für Friedensforschung zu ihrer ersten Arbeitstagung unter dem Titel „Der Friede im Blickpunkt der Pädagogik“ im Heim der Volkshochschule am Starnberger See einlud, befand sich das Thema der Friedenserziehung[1] in der Bundesrepublik im Aufschwung: Gustav Heinemann hob in seiner Antrittsrede als neu gewählter Bundespräsident 1969 angesichts des Kalten Krieges hervor, dass es „[h]inter dem Frieden […] keine Existenz mehr“[2] gebe und rief offiziell die Friedensforschung ins Leben; unter der sozialliberalen Koalition fand unter den Vorzeichen eines Zukunfts- und Planungsoptimismus‘ in den 1960er Jahren ein regelrechter Bildungsboom statt. In diesem politischen Klima bildete sich ein interdisziplinäres und disparates Forschungsfeld heraus, das – wie es im Tagungsprogramm der 1958 gegründeten Studiengesellschaft heißt – „Friede als wissenschaftliche und pädagogische Aufgabe“ erschloss. Vertreter:innen dieser neuen Forschungsrichtung versuchten unter Einbeziehung sozialwissenschaftlicher und psychologischer Wissensbestände eine Disziplin „Friedenspädagogik“ zu begründen und knüpften an ihre Erziehungsentwürfe die Hoffnung, inmitten des Kalten Krieges aktiv an der Gestaltung einer friedlichen Welt mitwirken zu können. Sie begriffen so Erziehung auch als Ort der Gesellschaftsverbesserung, an dem jede:r Einzelne einen Beitrag zum politischen Problem des Ost-West-Konflikts leisten konnte. Friedenspolitik rückte so in den Nahbereich der Bildungsarbeit und wurde transformiert in eine Arbeit am zu erziehenden Subjekt.
Wie und unter welchen historischen und politischen Rahmenbedingungen die Herstellung von „Frieden“ in der Bundesrepublik Ende der 1960er Jahre zu einem wissenschaftlichen und pädagogischen Problem wurde, welche (sich verändernden) Erwartungen einzelne Akteur:innen dabei an ,Erziehung‘ und ‚Wissenschaft‘ knüpften und inwiefern umgekehrt „Friedenserziehung“ zum Aushandlungsfeld gesellschaftspolitischer Fragen wurde, untersuche ich in meinem Promotionsprojekt in drei Fallstudien. Dabei nehme ich an, dass es in pädagogischen Konzeptionen von „Friedenserziehung“ immer auch um anthropologische Fragen, die Verhandlung und Formung zukünftiger Gesellschaft und damit um gesellschaftliche und politische Utopien geht, die den Friedensbegriff je unterschiedlich deuten.
An der Schnittstelle von historischer Bildungsforschung, Wissenschafts- und Zeitgeschichte angesiedelt, fragt das Projekt nach den sozialen und epistemologischen Kontexten friedenspädagogischer Theorien und friedenserzieherischer Praktiken in der BRD zwischen 1950 und 1990. Diese wissenschaftshistorische Perspektive wird ergänzt durch eine Betrachtung einzelner Erziehungsprojekte in ihrem konkreten Anwendungskontext: Wo konnten Pädagog:innen mit ihren friedenserzieherischen Programmen Gestaltungsspielräume wahrnehmen und welche Reaktionen und Kontroversen rief dies hervor? Inwiefern verstanden sie ihr erzieherisches Handeln als ein politisches und wann gerieten sie durch ihre Auffassungen von ,Frieden‘ mit staatlichen Stellen in Konflikt? Indem der Blick der Untersuchung so auch auf Fragen der (staatlichen) finanziellen Förderung, Institutionalisierung und öffentlichen Rezeption friedenserzieherischer Projekte gelenkt wird, möchte ich methodisch einen Beitrag zu der Frage leisten, wie eine Geschichte der Erziehung nicht nur als Ideengeschichte erzählt, sondern als Gesellschaftsgeschichte fruchtbar gemacht werden kann.
[1] Auf die Schwierigkeiten einer Begriffsdefinition und Eingrenzung der „Friedenserziehung“ als Untersuchungsgegenstand wurde in der Forschung verschiedentlich hingewiesen. Ich beschränke mich auf pädagogische Projekte, die von ihren Akteur:innen selbst als Friedenserziehung bezeichnet wurden. Was verschiedene Akteur:innen zu verschiedenen Zeitpunkten unter Friedenserziehung und Frieden verstanden, soll eine Analysekategorie meines Projekts sein.
[2] Heinemann, Dem Frieden dienen (1. Juli 1969), S. 1.
Abbildung I
„Das, was Politiker Friedenserziehung nennen; ist häufig nichts anderes als ein vorgezogener Teil der Grundausbildung bei der Bundeswehr“. In den 1980er Jahren wurde Friedenserziehung auch Thema des politischen Aktivismus und sprach so neue jugendliche Trägergruppen wie die JUSOs an. Über die Herausgabe von Bildungsmaterialien verbreiteten sie ihre Version einer antimilitaristischen Friedenserziehung, die eine Friedenspolitik der Abschreckung kritisierte.
Quelle: Cover der Broschüre „Friedenserziehung“ (1983), hg. vom Bundessekretariat der Jungsozialisten in Bonn unter der Redaktion von K.H. Schonauer. LHKo, Best. 714, Nr. 4478. Verwendung mit freundlicher Genehmigung des JUSO-Bundesbüros.
Abbildung II
Fast 60 Pädagog:innen aus ganz Deutschland begrüßte die Studiengesellschaft für Friedensforschung auf ihrer ersten Arbeitstagung am Starnberger See 1968, um gemeinsam auszuloten, was „der praktische Pädagoge, der Erzieher und der Schullehrer dazu tun [kann], daß Friede in dieser Welt wird“.
Quelle: Tagungsankündigung der Studiengesellschaft Friedensforschung e.V. München "Der Friede im Blickpunkt der Pädagogik" (16.-20. April 1968). IfZArch, ED 702/68. Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Institut für Zeitgeschichte München.
Ignorance in the Age of Text: Forbidden Knowledge among Common Readers in 18th and 19th Century Britain, Jakob Kaaby Hellstenius
Hellstenius’ project is an attempt at untangling the interplay of the unknowledge and reading practices of British common readers in the 18th and 19th century. While common readers were berated by elites for reading “uninstructive” texts that did nothing to change their readers’ material and intellectual poverty — but instead deepened their ignorance — their reading was anything but a meaningless pastime.
The project explores how common readers’ understandings of medicine, economics, intimacy, human nature, and more, were shaped by the texts they read, and their practices of reading and how this, far from ignorance, was knowledge which could run contrary to that of elites, legitimised by different epistemologies and ontologies. By taking the antithetical knowledge of common readers seriously, the project attempts to consider “ignorance” as part of the history of knowledge. Methodologically, the project will rely on a range of approaches, from traditional archival work to methods from science and technology studies as well as the digital humanities.
Photo credit: Llyfrgell Genedlaethol Cymru / The National Library of Wales
"It's all in the Head" - eine vergleichende historisch-epistemologische Geschichte der Neurowissenschaften im Jahrzehnt des Gehirns (1990-2000) Wessel de Cock
"It's all in the Head" unternimmt eine vergleichende Untersuchung der lokalen Verflechtungen von neurowissenschaftlicher Wissensproduktion über psychische Erkrankungen sowie politischen Reformprojekten zur psychischen Gesundheit der sogenannten "Dekade des Gehirns" der 1990er Jahre. Der Fokus der Arbeit liegt auf entsprechenden Projekten in den Vereinigten Staaten, den Niederlanden und Deutschland, der Hintergrund des globalen Kontextes, insbesondere in Japan und dem größeren europäischen Rahmen der Europäischen Kommission, soll aber ausdrücklich mit in den Blick genommen werden.
Die Ausrufung des "Jahrzehnts des Gehirns" durch den US-Kongress im Juli 1990 rückte die neurowissenschaftliche Forschung stärker in die öffentliche Aufmerksamkeit, gleichzeitig wurden weltweit mehr Fördermittel bereitgestellt. Obwohl Wissenschaftshistoriker und -wissenschaftler fast einhellig darin übereinstimmen, dass in den 1990er Jahren eine beispiellose globale "Neuro-Wende" stattgefunden hat, wurden die lokalen historischen Unterschiede, die diese nationalen Projekten kennzeichnen, bisher weitgehend ignoriert.
In dieser Hinsicht ist das "Jahrzehnt des Gehirns" also weitgehend eine Blackbox. Eben hier setzt Wessel de Cocks vergleichende Untersuchung der nationalen Entwicklungen innerhalb des globalen Trends zu neurowissenschaftlichen Erklärungen psychischer Erkrankungen in den 1990er Jahren an. Das Projekt verbindet damit die historische Forschung zu drei wissenschaftlichen und politischen Entwicklungen, die in den 1990er Jahren kumulierten, bislang aber meist isoliert untersucht wurden: der Aufstieg der evidenzbasierten Medizin (EBM), marktorientierte Gesundheitsreformprojekte und wissenschaftliche Großprojekte in den Lebens- und Humanwissenschaften, wie das Humangenomprojekt, die Global Burden of Disease Study (GBD) und das Jahrzehnt des Gehirns.
Das Projekt untersucht, wie die Produktion neurowissenschaftlicher Erkenntnisse über psychische Erkrankungen durch die Verflechtung mit bestimmten politischen Reformprojekten in unterschiedlichen historischen Kontexten geprägt wurde, und will so dazu beitragen, die Beziehung zwischen wissenschaftlicher Forschung zur psychischen Gesundheit und der heutigen Politik neu zu überdenken.
Abbildung: Hans de Bakker, Haagsche Courant, 10.04.1995.
Contestation of Knowledge in the Collection and Exhibition of Indigenous Objects by Catholic Mission Museums
This project is intended to answer how indigenous knowledge is contested through the exchange of objects between indigenous groups and Catholic missionaries by looking at how the value and function of the objects changed. It focuses on the collection and presentation history of two museums in Indonesia that were founded and managed by Catholic missionaries or foundations - namely the Nias Heritage Museum in Nias, North Sumatra and Museum Bikon Blewut in Flores, East Nusa Tenggara and will focus on the period between late 19th century until after the Indonesian independence on the mid of 20th century.
The research aims to shed light on how the Catholic Church and its missionaries responded to the cultural, social and political context in mission lands as manifested through material culture and museum practice, and how this affects the shift of knowledge in indigenous communities. These questions will be addressed through archival research and ethnographic methods.
Der Ausstellungskatalog Künstlerinnen international 1877–1977 als Archiv und Katalysator transnationaler Feminismen. Eine globale Objektgeschichte, Marie van Bömmel
Das Dissertationsprojekt setzt sich mit feministischen Erinnerungskulturen und Überlieferungsstrategien im Kontext der siebziger Jahre auseinander. Die Berliner Ausstellung Künstlerinnen international 1877–1977 als Ausgangspunkt wählend, untersucht es den Katalog dieser kontrovers diskutierten Schau als Katalysator und Archiv transnationaler Feminismen. Das Projekt unternimmt eine Rekonstruktion des Netzwerks der an der Katalogproduktion beteiligten Künstler:innen, Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen. Es prüft die Formfindung ihrer kommunikativen Anliegen und misst diese an den Rezeptionsprozessen in der Frauenbewegung, der bürgerlichen Öffentlichkeit, in Populärkultur und Wissenschaft.
Das Potenzial des Katalogs als materiellen Traditionsstifter auslotend, möchte das Projekt Prozesse der Genese, desTransfers und des Verlusts feministischen Wissens nachzeichnen und verschiedene Zeitschichten produktiv miteinander konfrontieren. Dieses Anliegen wird auch im Gespräch mit Zeitzeug:innen verfolgt. Das Projekt knüpft damit an die historiografische Programmatik des beforschten Gegenstands an und möchte sie im selbstreflexiven Erproben wissensvermittelnder Strukturen kritisch fortentwickeln.