11. Juni 2003 Der Hygieniker Heinz Zeiss (1888-1949) und das Konzept der "Geomedizin des Ostraumes"
Referentin: Dr. Sabine Schleiermacher
Heinz Zeiss wurde im Herbst 1933 von der Medizinischen Fakultät der Friedrich Wilhelms-Universität in Berlin zum Professor für Hygiene berufen. Bis dahin hatte er seit seiner Teilnahme an der Rote - Kreuz - Expedition in die Sowjetunion 1921 über zehn Jahre seiner "praktischen und wissenschaftlichen Tätigkeit" in Sowjetrussland verbracht. In Hamburg erhielt er 1924 die Venia legendi für Tropenmedizin. Seit der Weimarer Republik gehörte Zeiss der Auslandsdeutschen Bewegung an.
Sein Aufenthalt in der Sowjetunion hatte Zeiss tiefe Einblicke in Teile Osteuropas ermöglicht sowie ein neues Forschungsfeld, die Geomedizin, eröffnet. Unter Übernahme von Methoden und Theorien aus der Geopolitik entwickelte er ein Konzept der Geomedizin, dem Vorstellungen von "Lebensraum", "Blut und Boden" wie die Parole vom "Volk ohne Raum" inhärent waren. Seine Gedanken vom deutschen "Kultur"- und "Volksboden" beinhalteten die Annahme, das deutsche Volk verfüge über feste Siedlungsräume, die weit über die Reichsgrenzen hinaus auch in Osteuropa lägen. Die finanzielle und kulturelle Unterstützung sowie "Züchtung" in osteuropäischen Siedlungsgebieten lebender "leistungsfähiger" "Deutscher" erschienen als "natürlicher" Garant für einen zukünftigen Zugriff auf diese Territorien.
In Zeiss' Arbeiten werden Wissenschaft und Politik miteinander verzahnt. Das wissenschaftliche Instrumentarium, dessen er sich neben der Medizin bediente, stammte aus den Sozialwissenschaften, der Geographie und der Biologie. Während des Nationalsozialismus legitimierte dieses wissenschaftliche Konzept Maßnahmen zur "Umvolkung" und "Eindeutschung", womit Selektion und Deportation von Menschen verbunden war. Der 'Generalplan Ost', mit dem die Allokation von Menschen, die Verteilung von Nahrung, die Installierung von Verwaltung und vieles andere in einem noch zu erobernden 'Ostraum' gänzlich neu strukturiert und eine noch zu implantierende, gut kontrollierbare nationalsozialistische 'Siedlungsgemeinschaft' modellhaft entworfen wurde, stellt die umfangreichste und radikalste Konkretion derartiger Vorstellungen dar. Die inhaltlichen Verbindungen zu Zeiss's Forschungen ist evident.