10. Dezember 2003 "Einen neuen Geist einführen..."? Kunstgeschichte und Musikwissenschaft
Referenten: Prof. Dr. Adam S. Labuda, Sabine Arend M.A. und Sandra Schaeff (Kunstgeschichte) und Dr. Burkhard Meischein (Musikwissenschaft)
Teil 1 - Die Kunstgeschichte
Das Berliner Kunsthistorische Institut galt als der"Olymp" der deutschen Kunstgeschichte. Hier lehrten und forschten bedeutende Fachvertreter wie Heinrich Wölfflin und Adolph Goldschmidt. Von 1931 bis 1935 hatte Albert Erich Brinckmann das Ordinariat inne, von 1935 bis 1945 Wilhelm Pinder, der über seine Beiträge zur Reihe der"Blauen Bücher" auch außerhalb der akademischen Kunstwissenschaft einen enormen Bekanntheitsgrad erlangte. Nach dem Machtwechsel wurde das Personal des Instituts fast vollständig ausgetauscht, dabei fiel ein nicht unbeträchtlicher Teil des Kollegiums den nationalsozialistischen Rassegesetzgebungen zum Opfer. Albert Erich Brinckmann, der das Institut zu einem internationalen Forschungszentrum hatte ausbauen wollen, wurde nach Frankfurt am Main versetzt, an seine Stelle trat Wilhelm Pinder.
Die Hintergründe dieses Revirement sind bis heute nicht genau bekannt, stehen jedoch im Zusammenhang mit einer umfassenderen Neubesetzung kunsthistorischer Lehrstühle. Der Vortrag thematisiert Personalsituation, Lehre und Forschung am Institut. Ein Schwerpunkt wird dabei zum einen auf dem Agieren der Ordinarien als Institutsdirektoren, aber auch im Hinblick auf ihre außeruniversitären Aktivitäten liegen (S. Arend), zum anderen soll die Situation des aufstrebenden, aber noch nicht etablierten akademischen Nachwuchses unter den sich wandelnden Karrierebedingungen untersucht werden (S. Schaeff).
Teil 2 - Die Musikwissenschaft
Die Aufarbeitung der Geschichte der Musikwissenschaft im Nationalsozialismus ging - abgesehen von einzelnen Beiträgen zu verfemter Musik - zunächst nicht von der deutschen Musikwissenschaft aus. Grundlegend waren erst die Arbeiten Pamela Potters (Potter, Pamela M., "Musicology under Hitler: New Sources in Context", in: Journal of the American Musicological Society, 49 [1996], S. 70-113; dies., Die deutscheste der Künste. Musikwissenschaft und Gesellschaft von der Weimarer Republik bis zum Ende des Dritten Reiches, Stuttgart 2000), denn in ihnen wurde zum ersten Mal der Versuch unternommen, in einer breit angelegten Recherche alle in Frage kommenden Institutionen, die in ihnen gegebenen Karrieremöglichkeiten sowie individuelle Biographien einzelner Persönlichkeiten zu einem umfassenden Gesamtbild zusammenzufügen. Willem de Vries' Aufarbeitung der Raubzüge von Mitarbeitern des sogenannten "Amt Rosenberg" (Vries, Willem de, Sonderstab Musik. Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940-45, Köln 1998) erreichte eine Breitenwirkung, die frühere Arbeiten, in denen das Thema bereits angeklungen war, nicht erreichen konnten. Weitere Anstöße gaben die Darstellungen im Rahmen der Neubearbeitung der Enzyklopädie "Die Musik in Geschichte und Gegenwart".
Die Musikwissenschaftler am "Musikhistorischen Seminar" der Universität Berlin befanden sich in der NS-Zeit in einer besonderen Situation, deren Veränderungen sich an der Personalentwicklung des Instituts sowie an den dort angebotenen Lehrinhalten recht gut ablesen lassen. Das Berliner Ordinariat, seit 1928 durch Arnold Schering besetzt, galt als der prominenteste deutsche Lehrstuhl des Faches. Als Schering im März 1941 nach langer Krankheit starb, setzte ein heftiges Tauziehen zahlreicher Interessengruppen, politischer Stellen und einflußreicher Persönlichkeiten ein, das im Endeffekt dazu führte, daß der Lehrstuhl erst 1946 wieder besetzt wurde. Aber diese Personalie war nicht die einzige, die das Verhältnis der Berliner Musikwissenschaft zum Natinonalsozialismus beleuchten kann. Denn bereits mit dem Beginn der NS-Herrschaft war das Schlaglicht auf Berlin gefallen, wo die beiden einzigen deutschen Musikwissenschaftsprofessoren jüdischer Herkunft tätig waren, Curt Sachs und Erich Moritz von Hornbostel. Ihre (auch von Protesten begleitete) Entlassung und schnelle Emigration war Gegenstand heftiger Diskussionen.
Was die Inhalte des Faches anbelangt, so war die Berliner Situation gekennzeichnet durch eine stark geistesgeschichtlich und hermeneutisch ausgerichtete "Lokaltradition", die über Schering, seinen Amtsvorgänger Hermann Abert bis hin zum Institutsgründer Hermann Kretzschmar zurückreichte. Diese inhaltliche Ausrichtung wurde mit dem Beginn der NS-Herrschaft durch zeitübliche Lehrinhalte (Volksliedkunde, Musikalische Rassenkunde usw.) ergänzt bzw. ersetzt. Auch um diese Fragen entspannen sich zahlreiche Diskussionen, forciert durch die Aufbruchs- und Erneuerungsstimmung, die viele Wissenschaftler am Beginn der NS-Herrschaft erfaßt hatte. Zahlreiche Programm- und Reformschriften zur Neu- bzw. Umgestaltung des Faches füllen die Bände der einschlägigen Zeitschriften.
So spiegelt die Geschichte des Berliner Instituts mehrere Facetten im Verhältnis des Faches Musikwissenschaft zum Nationalsozialismus wider.